Heikos Tour

Evans packt bei Abfahrten der Horror

Von Heiko Salzwedel

20.07.2005  |  Erneut trübte eine schreckliche Tragödie die Vorfreude auf eine Tour-Etappe. War es vor zwei Wochen der Terroranschlag in London, so ist es diesmal die Nachricht vom tödlichen Trainingsunfall in Thüringen, bei dem Amy Gillet, eine Fahrerin des australischen Frauen-Nationalteams ums Leben gekommen ist und fünf ihrer Begleiterinnen schwer verletzt wurden. Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer und beim australischen Nationaltrainer Warren MacDonald, einem Schüler von mir. Sowohl die Angehörigen als auch Warren durchleben leidvolle Stunden.

Die gestrige 16. Etappe hätte der Tag des Cadel Evans werden können, wenn er ein kompletter Rennfahrer wäre. Aber leider sind seine Fähigkeiten bei Abfahrten doch sehr beschränkt, so dass die Verfolger um Oscar Pereiro auf der Abfahrt vom d’Aubisque ohne Mühe zu ihm aufschließen konnten. Im Sprint hatte Cadel dann keine Chance. Obwohl Evans früher Mountainbike-Fahrer gewesen ist, kann er nicht davon profitieren. Gestern wurde deutlich, dass eben nicht nur physische, sondern auch technische Fähigkeiten im Radsport zählen. Ich führe Cadels mangelnde Downhill-Fertigkeiten auf seine vier Schlüsselbeinrüche während seiner Zeit bei T-Mobile zurück. Seitdem hat er eine psychische Blockade und einen regelrechten Horror vor gefährlichen Abfahrten.

Das soll aber seine Klasse-Leistung am gestrigen Tag nicht schmälern, über die ich mich sehr gefreut habe. Letztlich fuhr er auch nicht auf Tagessieg, sondern auf Gesamtwertung. Und dieses Unternehmen ist ihm gelungen. Vielleicht springt in Paris doch noch ein Platz unter den besten Zehn für ihn heraus. Den hätte er dann seinen Attacken am gestrigen Tag zu verdanken.

Oscar Pereiro habe ich den Sieg gegönnt. Der Spanier hat zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen eine Top-Leistung in den Pyrenäen gezeigt und sich den Sieg redlich verdient. Aller Ehren wert war auch der siebte Platz von Jörg Ludewig. Der Legionär von Domina Vacanze zeigte sich gestern in einer ausgezeichneten Verfassung und war sogar der erste am Col de Marie-Blanque. Mit Ludewig konnte sich ein weiterer deutscher Fahrer auf einer Etappe weit vorne platzieren, auch wenn es zu einem Tagessieg bisher leider noch nicht gereicht hat.

Diese letzte Pyrenäen-Etappe war auch deshalb so spannend, weil sie so vielschichtig war. Schon in der Spitzengruppe gab es unterschiedliche Interessen. Während Evans sozusagen um sein Leben fuhr, spekulierten seine Mitausreißer nur auf den Etappensieg. Das gleiche Bild im Feld: Während das Klassement auf den Plätzen eins und zwei gemacht scheint und Basso Lance Armstrong nicht mehr ernsthaft angreifen zu wollen scheint, entbrannte ein harter Kampf um Platz drei zwischen Jan Ullrich und Mickael Rasmussen. Der Däne machte einen stärkeren Eindruck als an den Tagen zuvor. Jan Ullrich wird eine ganz harte Nuss knacken müssen, um doch noch aufs Podium in Paris zu kommen.

Auch gestern wieder hat T-Mobile versucht, seinem Kapitän so weit wie möglich zu helfen. Und die Fahrer in Magenta taten das in bravouröser Manier. Tobias Steinhauser etwa scheint immer besser in Form zu kommen und hielt zeitweise sogar bei Carlos Sastre mit, Bassos wichtigstem Adjutanten in den Bergen. Alexander Winokurow zeigte sich wieder angriffslustig und hatte offensichtlich diesmal keine Probleme, nach dem Ruhetag wieder den richtigen Tritt zu finden. Und schließlich Andreas Klöden: Der letztjährige Zweite fuhr die Etappe sogar mit gebrochenem Kahnbein der rechten Hand zu Ende. Diese Leistung kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Ich hoffe für Andreas und das Team, dass er die Tour trotz seiner Verletzung wird fortsetzen können. Die Zuschauer würde es freuen, denn sie schätzen die offensive Fahrweise von T-Mobile, wie ich selbst auch immer wieder an entlang der Strecke bemerkt habe. Und Ullrich & Co. wissen die Unterstützung der Fans zu schätzen.

Apropos Unterstützung: Die kam gestern auch von einem prominenten Radsportfan. Vladimir Klitschko besuchte auf Einladung von T-Mobile das Team in Mourenx. Für den Schwergewichts-Boxer war es die erste Stippvisite bei einem Radrennen. Klitschko zeigte sich bei einer Begegnung mit den Fahrern sich beeindruckt von deren Leistungsfähigkeit und holte sich wohl auch einige Inspiration für sein eigenes Trainingscamp, in dem er sich demnächst auf seinen nächsten WM-Kampf vorbereiten wird.

Zur Person

Heiko Salzwedel ist einer der erfolgreichsten deutschen Radsporttrainer. Er führte im Jahr 1989 als Nationaltrainer der DDR-Bahnradfahrer den Vierer zu WM-Gold. Nach der Auflösung der DDR wurde er australischer Nationaltrainer und betreute Fahrer wie Robbie McEwen, Henk Vogels, Mathew White, Patrick Jonker und Kathy Watt. In seiner Profi-Mannschaft ZVVZ-GIANT-A.I.S. begannen Sportler wie Jens Voigt, Tomas Konecny, Jan Hruska, Nick Gates oder die beiden älteren Brüder von Michael Rogers (Deane und Peter) ihre erfolgreiche internationale Karriere.

Weitere Stationen des 48 jährigen Globetrotters aus dem thüringischen Schmalkalden waren das Amt des Leistungssportreferent beim Bund Deutscher Radfahrer, Teammanager im Britischen Radsportverband sowie Chef-Trainer der deutschen Frauen-Profimannschaft Equipe Nürnberger. Derzeit ist Salzwedel für die Nachwuchsförderung bei T-Mobile zuständig und Nationaltrainer der dänischen Bahn-Radsportler.

Heiko Salzwedel im Internet: http://www.sl-sports.com

Mehr Informationen zu diesem Thema

19.08.2005Holczer: "Jan Ullrich bleibt der Top-Favorit"

(sid) - Nach dem Doppelsieg seiner Schützlinge auf der Königsetappe der Deutschland-Tour ist Gerolsteiner-Teamchef Michael Holczer euphorisiert. Dennoch bleibt für ihn T-Mobile-Profi Ja

25.07.2005Tour de Lance – der Champion tritt ab!

Der letzte Auftritt Lance Armstrongs auf der Bühne der Tour de France war zugleich sein beeindruckendster. Ich habe an anderer Stelle schon geschrieben, dass ich Lance noch nie so stark und überlege

24.07.2005Rabobank blamiert sich

So etwas habe ich noch nie gesehen: Der Drittplatzierte der Gesamtwertung im wichtigsten Radrennen der Saison wird von seinem Team im Stich gelassen. Was Mickael Rasmussen, dem tapferen Dänen, am Sam

22.07.2005T-Mobile schlägt zurück!

Die gestrige Etappe war ein Krimi vom Anfang bis zum Ende. Schon bevor sich die zehnköpfige Spitzengruppe schließlich bilden konnte, hatten zahlreiche Profis versucht, sich aus dem Hauptfeld abzuset

21.07.2005Discovery Channel ist noch nicht satt

Die längste Etappe endete mit dem längsten Schlussspurt. Es war ein regelrechter Ausdauersprint, der vom Giro-Sieger Paolo Savoldelli gegen den Norweger Kurt-Arsle Arvesen souverän gewonnen wurde.

18.07.2005Doppelte Dramatik und ein souveräner Herrscher

Die Dramatik der gestrigen Etappe resultierte aus der Konstellation. Vorne wurde um den Tagessieg gefightet, in der Verfolgergruppe um den Gesamtsieg. Und die Gruppe mit den Sprintern fuhr ihr eigenes

17.07.2005Totschnig siegt mit Ansage

In der Woche noch wäre Georg Totschnig am liebsten aus der Tour ausgestiegen, weil nichts lief. Nur den aufmunternden Worten seiner Familie und seines Teamchefs Hans Michael Holczer war es zu verdank

16.07.2005Davitamon opfert sich für McEwen auf

Ich hatte für gestern zwar einen Sieg von Robbie McEwen erwartet, aber nachdem ich am Start der Etappe noch mit ihm gesprochen hatte, war meine Zuversicht etwas ins Wanken geraten. Robbie schien ein

15.07.2005Wer attackiert Armstrong?

Zunächst: Ehre, wem Ehre gebührt. Die Franzosen feuerten gestern pünktlich zum Nationalfeiertag ihren ersten Etappensieg bei dieser Tour. Drei französische Teams hatten Fahrer in der Ausreißergru

14.07.2005T-Mobile gibt nicht auf!

Aufatmen bei T-Mobile: Das Team lässt sich nicht unterkriegen. Winokurows Gipfelsturm gestern war ein ganz besonderes Husarenstück. Auch im Sprint hat Wino seine Form bestätigt und Botero keine Ch

13.07.2005Same procedure as every year

Die gestrige Etappe hat bei mir vor allem Ernüchterung hinterlassen. Lance Armstrong hat wieder einmal bewiesen, dass er der stärkste Fahrer im Feld ist. Er ist ein Rennfahrer wie von einem anderen

11.07.2005Voigts Gelbes überstrahlt Ullrichs Malheur

Niemand hat das Gelbe Trikot so verdient wie Jens Voigt. Der Berliner ist das Musterbeispiel eines Radprofis und gibt in jedem Rennen alles. Seine Arbeitsauffassung ist vorbildlich. Wie er auch heute

Weitere Jedermann-Nachrichten

05.05.2024Vollering nutzt Rückenwind-Passage zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Mit einem weiteren überragenden Auftritt hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) die 10. Vuelta Femenina (2.UWT) souverän für sich entschieden. Die 27-jährige Niederländerin schüttelt

05.05.2024Pogacar: ”Die Post wird abgehen”

(rsn) – Der Auftakt zum 107. Giro d’Italia ist atypisch. Einen Tag nach der schweren 1. Etappe, auf der bereits einige Favoriten Federn gelassen haben, steht bereits die erste Bergankunft auf dem

05.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 2. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

05.05.2024Narvaez sorgt für die nächsten rosa Träume in Ecuador

(rsn) – Fünf Jahre ist es her, dass Richard Carapaz das Radsportland Ecuador mit seinem sensationellen Gesamtsieg beim Giro d´Italia in Rosa gehüllt hat. Nun feiern die Nachbarn der Kolumbianer i

05.05.2024Erste Bergankunft im Zeichen von Pantani

(rsn / ProCycling) – Wie bereits der gestrige Auftakt ist auch diese 2. Etappe verhältnismäßig kurz. Im Gegensatz zu den Vorjahren entschied sich der Veranstalter RCS in der ersten Hälfte der Ru

05.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

04.05.2024Zocker Schachmann eröffnet den Giro mit Bravour

(rsn) - Im Ziel in Turin war Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) von den Emotionen überwältigt. Natürlich war er sauer, dass er zum Auftakt des Giro d’Italia so knapp am Rosa Trikot vorbei

04.05.2024Arensman und Bardet müssen schon sehr früh Federn lassen

(rsn) – Riesig waren die Abstände unter den besten Kletterern des Giro d´Italia auf der 1. Etappe rund um Turin nicht. Und doch dürfte das Thema ´Podium in Rom´ für vier Protagonisten nach den

04.05.2024Pogacar verpasst Rosa, setzt aber eine erste Duftmarke

(rsn) – Tadej Pogacar hat mit seinem UAE Team Emirates alles getan, um schon am ersten Tag des 107. Giro d´Italia das Maglia Rosa zu übernehmen. Die Männer in Weiß arbeiteten auf den 140 Kilomet

04.05.2024Highlight-Video der 1. Etappe des Giro d´Italia

(rsn) – Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) hat mit seinem Sieg zum Auftakt des 107. Giro d’Italia das erste Rosa Trikot erobert. Der 27-jährige Ecuadorianer setzte auf der 1. Etappe über 140 Ki

04.05.2024Gasparotto: “Max hat das heute clever gemacht“

(rsn) – Viel fehlte nicht und Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) hätte zum Auftakt des 107. Giro d’Italia für eine dicke Überraschung gesorgt. Der 30-jährige Deutsche musste sich auf d

04.05.2024Highlight-Video der 7. Etappe der Vuelta Femenina

(rsn) – Marianne Vos (Jumbo – Visma) hat bei der 10. Vuelta Femenina ein weiteres Mal ihren Ruf als stärkste Sprinterin untermauert. Die 36-jährige Niederländerin entschied die 7. Etappe über

JEDERMANN-RENNEN DIESE WOCHE
  • Keine Termine